
Fotografieren bedeutet auch, überall da ein Motiv zu sehen, wo andere nichts erkennen, das sich festzuhalten lohnt. Allerdings kann die Sache mit dem besonderen Blick (nach dem wir ja alle streben) auch in die Hose gehen. Woran das liegt? Dazu habe ich drei Thesen.
Erstens: Selbstüberschätzung. Die Kunst ist frei, und Selbstbewusstsein ist etwas Gutes, insofern kann man theoretisch kein falsches Foto machen. Ich persönlich höre und lese nur zu oft die Begründung „Das hat mir irgendwie gefallen“ für die Wahl eines Motivs. Mein Tipp wäre: Versuchen Sie, ein zwei Argumente mehr für Ihr Foto zu finden. Wenn Ihnen das schwer fällt, ist es möglicherweise doch kein gutes Bild.
Okay, hier sind die Argumente für mein Foto von zwei Halteseilen eines Sendemastes. Nummer eins: Minimalismus, also einfache grafische Struktur. Nummer zwei: Ausgeruhte Komposition mit dem orangefarbenen Teil (weiß jemand, was das ist?) exakt im Goldenen Schnitt. Nummer drei: Ich liebe die Kombination blau-orange und bin mir da ziemlich einig mit vielen anderen Menschen.
Zweitens: Schlampigkeit. Wenn man schon etwas fotografiert, was andere gar nicht erst als Motiv erkennen, dann muss man sein Foto auch sorgfältig behandeln. Also schauen, ob im Hintergrund etwas stört und das gegebenenfalls entfernen. Schauen, welche Schatten die Sonne wirft, ob Mischlicht die Farbstimmung ruiniert und, und, und. Außerdem wird häufig aus Bildbearbeitung verzichtet, und dann sind Horizonte nicht gerade oder Flecken nicht weggestempelt.
(Und sollte jetzt jemand mit dem Thema Schnappschuss kommen: Ja, Schnappschüsse sind fantastisch, von ihnen lebt sogar ein ganzes Kunst-Genre, nämlich die Streetfotografie. Erfolgreiche Streetfotografen gehen aber in der Regel nicht einfach los und gucken, was geht, sondern sie versuchen, ein Gefühl für die Lage auf der Straße zu entwickeln. Dann stellen sie sich an der richtigen Stelle auf, wo sie die Chance haben, ein gutes Foto zu machen, es vielleicht sogar zu wiederholen. Und schon steigt die Chance, statt mit einem bloßen Schnappschuss mit einem kleinen Kunstwerk nach Hause zu kommen.)
Seine besondere Klarheit hat mein Bild in der Nachbearbeitung bekommen, als ich den Goldenen Schnitt noch einmal exakt justiert habe (durch Beschneiden des Bildes), und als ich vor allem das Blau des Himmels deutlich verbessert habe. Zu dem Zitat „Das hat mir irgendwie gefallen“ kommt nämlich häufig der Begleitsatz „Das war in Wirklichkeit viel schöner als hier auf dem Foto, du hättest dabei sein sollen“. Das ist zu großen Teilen Quatsch – man kann nicht nur sorgfältig fotografieren, sondern auch sorgfältig bearbeiten. Und dann erzielt man auch die gewünschte Wirkung.
Drittens: Mangelnder Einsatz. Viele der Das-hat-mir-irgendwie-gefallen-Fotos werden exakt ein einziges Mal gemacht. Wie gesagt, Selbstbewusstsein ist gut – aber zu glauben, der erste und einzige Schuss sitze sofort, das grenzt schon an Arroganz. Maler tauchen ständig ihren Lappen in Terpentin und wischen Pinselstriche wieder weg, um dann neu anzusetzen, dann können Fotografen ihr Motiv auch mal aus verschiedenen Perspektiven betrachten, Hoch- und Querformate probieren, unter- oder überbelichten, mit Schärfeverläufen spielen und so weiter.
Und hier die Fleißpunkte für mein Bild: Ich habe insgesamt zehn Minuten mit dem Motiv zugebracht und verschiedene Einstellungen probiert. Mit einem und mit zwei Drahtseilen, mit orangefarbenem Teil (was ist das bloß?) und ohne, mit Flugzeug am Himmel und ohne, mit und ohne Sendemast im Bild. Ich finde ja, zehn Minuten kann man investieren in ein Foto, das man vorzeigen möchte. Das geht immer noch viel schneller als malen.
Da stimm ich Dir in allen Punkten zu.
Ich hab aber immer noch meine Probleme, zwischen objektivierbaren und subjektiven Bildqualitätsmerkmalen zu unterscheiden. Ab welchem Grad objektivier Bildqualität kann ich mir das Subjektive leisten?
Statistisch hab ich noch 27Jahre Zeit, das raus zu finden.😉
Viele Grüße
Klaus
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