
Heute habe ich mich völlig unprofessionell verhalten. Der Profi weiß nämlich genau, was er fotografieren will und richtet sich darauf ein. Er hat also eine ungefähre Vorstellung davon, wie es dort aussieht, wo er fotografieren will. Und er kann einschätzen, ob das Licht zur Zeit des Shootings einigermaßen passt. Der Amateur dagegen läuft durch die Gegend und entdeckt zufällig sein Motiv. So ging es mir heute, als ich in der prallen Mittagssonne die winzige Märchenstadt Aeroeskoebing in Dänemark besuchte. Hartes Licht und der entsprechende Schatten machten angemessenes Fotografieren der Häuser, Türen und Straßen eigentlich unmöglich. Aber es gibt natürlich auch dafür eine Lösung.
Details. Kleinigkeiten am Rande gehen eigentlich immer, bei schlechtem und auch bei zu gutem Wetter. Mein Motiv ist hier der Türklopfer rechts, nur er ist auch wirklich scharf in dem Bild. Trotzdem lässt sich der Kontext erkennen: Der etwas aus der Zeit gefallene Türklopfer ist nicht einfach eine Marotte eines Hausbesitzers, sondern man sieht dem Rest der Straße durchaus an, dass alle Häuser hier etwas älter sind, auch das Kopfsteinpflaster am Boden wird sichtbar.
Damit das so ist, habe ich übrigens nicht die volle Leistung meines Objektivs ausgereizt, was ein schönes Bokeh angeht, also die sanfte Auflösung der Schärfe im Hintergrund. Ich hätte dafür Blende 4 einsetzen können, habe aber mit Blende 8 fotografiert, die Blende also um zwei Stufen weiter geschlossen. Sonst wäre das, was jetzt noch gut als Häuserzeile, blauer Himmel und Kopfsteinpflaster erkennbar ist, mehr in Richtung amorphe Masse gegangen, und niemand hätte gewusst, warum ich einen Türklopfer fotografiert habe. Natürlich kann man einen Türklopfer auch einfach als Türklopfer ablichten – aber wenn die gesamte Szene schon Kontext anbietet, sollte man zumindest ein, zwei Einstellungen machen, die das Motiv auch mit seiner Umgebung verbinden.
Weil ich die Kamera fast parallel zur Häuserzeile gehalten habe, konnte ich noch die tiefschwarzen Schatten eliminieren, die die Häuser gegenüber warfen. Nur hinten am linken Bildrand wird noch ein winziges Schattenstück sichtbar, aber das stört nicht wirklich. So ist das Bild zwar keines, das ganz allein die Geschichte von Aeroeskoebing erzählen könnte, aber in eine größere Reportage über das wunderschöne Städtchen würde es sehr gut passen.
Ich rate dazu, immer eine Art Reportage im Kopf zu haben (selbst wenn man sie nicht verwirklicht) und einen Platz, einen beliebigen Ort von möglichst vielen Seiten zu betrachten und zu fotografieren. Dabei beginnt das Achten auf Details irgendwann von ganz allein, und das hilft gerade dann, wenn man sich nicht selbst aussuchen konnte, wann genau man an einem speziellen Ort eintrifft. Häufig passiert das im Urlaub: Wenn die Reiseleitung den historischen Markt von 12 bis 13 Uhr besuchen will, dann ist es eben so. Statt zu lamentieren oder harte Schatten zu fotografieren, sollte man lieber schauen, wo sich trotz schwieriger Bedingungen noch ein schönes Foto versteckt – manchmal versteckt es sich ziemlich clever, das gebe ich zu, aber man kann es auch finden
Die fiese Sonne hat mir bei meinem Bild übrigens auch geholfen: Sie bringt nämlich die Farben der Häuser und Fensterrahmen sehr schön zum Leuchten. Natürlich habe ich noch ein wenig nachgeholfen, in dem ich in Lightroom wieder mal mit allem gearbeitet habe, was mit den Themen Kontrast und Sättigung zu tun hat. Das gelbe Haus etwa leuchtet nun etwas optimistischer, als es sein Besitzer vielleicht wollte, und auch die blauen Rahmen im Vordergrund sehen aus wie frisch gestrichen.
Darüber kann man diskutieren, und ich lasse auch gern jedes Foto gelten, das mehr Realismus zeigt als meins. Aber mein Bild schaue ich mir halt lieber an.
Mir gefällt das Bild sehr gut
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Vielen Dank, Nele – das passt ganz gut zu dem, was Du selbst fotografierst, oder?
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Ja, das stimmt.
Das Bild hat mich sofort angesprochen
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