
Heute musste ich nicht lange suchen für mein Foto des Tages. Der wunderschöne himmelblaue Lancia B24S Spider America steht vielleicht drei Schritte von mir entfernt am Messestand der Garage du Pont. Wie gestern und vorgestern bin ich auf der Motor World Classics in Berlin und preise meine Dienste als Autofotograf an. Zwischendurch gehe ich immer mal ein bisschen fotografieren, heute allerdings musste ich nicht lange gehen, weil mir an dem seltenen Automobil links neben mir etwas Besonderes auffiel.
Ziemlich viele Besucher werfen einen Blick auf oder in den 1955 gebauten Wagen, wahrscheinlich weil er so schön ist oder auch, weil man ihn kaum je zu Gesicht bekommt (nur 180 wurden produziert). Also habe ich mir überlegt, den Blick der Besucher aufs Auto einzufangen.
Dazu habe ich mich neben die Fahrertür gekniet und so getan, als würde ich ein Cockpitfoto machen. Und immer wenn jemand kam und sich das Auto ansah, habe ich abgedrückt. Die Menschen machen sich keine Vorstellung vom Blickfeld eines Weitwinkelobjektivs (hier: 25 mm Brennweite), darum waren sie völlig arglos und haben meine Arbeit nicht auf sich bezogen.
Insofern kann man hier wieder von einer Streetfotografie sprechen, allerdings zeige ich den bärtigen Herrn nur unscharf. Mit durchgehender Schärfe habe ich auch experimentiert, aber nur kurz – mir wurde das Bild dann viel zu unruhig. Hier ist es schön konzentriert auf das Lenkrad, und dass der Mann guckt, kann man ja trotzdem noch erkennen.
Leider spiegeln sich die großen Hallenfenster, die dieses magische Licht hier geben, in der Lenkradnabe, so dass man den Lancia-Schriftzug nicht richtig lesen kann, aber das fällt dann wieder unter die Rubrik „Man kann nicht alles haben“. Wichtiger finde ich jedoch den sichtbaren optischen Bezug zwischen meinem Motiv und dem Blick des Mannes.
Dann aber, nachdem ich alles zu meiner Zufriedenheit bearbeitet hatte, zeigte ich das Bild stolz dem Besitzer des Autos. Der fand es auch schön, aber störte sich dann an dem Mann. Worauf ich wieder sagte, der sei doch absichtlich da. Und er: Okay, das ist dann wohl der Unterschied zwischen Profi und Amateur.
Na ja. Ich würde schon sagen, dass der Betrachter eines Bildes jedes Recht hat, es gut oder schlecht zu finden, Profifotograf hin oder her. Darum ist es ja auch so wichtig, dass Kunde und Fotograf vor Abschluss eines Vertrages Einigkeit über den gewünschten Bildstil erzielen. Dazu sollte sich der Kunde sehr gründlich mit dem Portfolio des Fotografen beschäftigen, in dem ein Stil erkennbar sein dürfte. Und der Fotograf darf gerne nachfragen, welche Art Fotos der Kunde besonders gut findet. Einigkeit vorab zu erzielen ist extrem wichtig, weil es nicht zu erwarten, dass ein Fotograf seinen Stil ganz plötzlich sehr deutlich ändern kann. Wir sind alle Dienstleister, aber irgendwo bestehen auch Grenzen in der Flexibilität, und dann ist es von vornherein besser, einen Auftrag nicht anzunehmen.
Um auf das Foto des Tages zurückzukommen: Ich glaube, hier gab es in der Betrachtungsweise nicht unbedingt einen Unterschied zwischen Profi und Amateur. Sondern einen zwischen Autobesitzer und Nicht-Autobesitzer. Für mich steht eben das Foto im Mittelpunkt, die Szene, und die hätte ich auch mit einem alten Porsche, Mercedes oder womit auch immer aufnehmen können. Für den Besitzer ist aber vor allem sein Auto wichtig, genau dieses Auto, und da will er halt nicht, dass noch irgendetwas anderes im Bild eine Rolle spielt.
Das muss man akzeptieren, und wenn ich dieses Foto im Auftrag erstellt hätte, dann wäre ich gut beraten gewesen, darauf Rücksicht zu nehmen. Ohne einen hinguckenden Menschen ist dieses Foto natürlich auch viel einfacher zu machen.
Nur dass ihm dann aus meiner Sicht etwas fehlen würde.
P.S.: Und hier kommt wieder mein Streetfoto-Disclaimer – wenn der Herr auf dem Foto sich erkennt, möge er sich bitte melden. Ich würde ihm gern einen schönen Ausdruck von dem Bild zuschicken.
Witzige Idee mit dem Täuschungsversuch – der ja auch funktioniert hat.
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