Das Geheimnis der Postkarte


Hotel, Montenegro, Sveti Stefan, Insel, Adria
Variante 1: Unbearbeitete Raw-Datei – Blick auf das Hotel Aman Sveti Stefan, Budva/MNE @Stefan Anker

Achtung, Achtung – dies ist kein Bild, das ich favorisiere. Warum ich es trotzdem hier präsentiere, erschließt sich später im Text, wenn ich noch zwei andere Varianten dieses Fotos zeige. Um damit für die Wichtigkeit der Bildbearbeitung zu plädieren.

Wer sich je für eine Reise nach Montenegro interessiert hat, dürfte dieses Motiv schon gesehen haben. Die Kamera blickt hier vom Land aus auf die Insel Sveti Stefan und ihre ca. 500 Jahre alten Häuser. Früher war das mal ein Fischerdorf, seit den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts ist es ein Hotel. Und weil Montenegro so klein ist, zählt dieses Hotel zu seinen großen Attraktionen und wird häufig fotografiert.

Ich konnte heute morgen gegen neun Uhr auch nicht widerstehen und habe bei ruhigem Wasser und wolkenlosem Himmel ein Urlaubsfoto par excellence geschossen, eine Postkarte, wenn man so will. Einziger Nachweis meines Status als professioneller Fotograf mag hier die Anordnung des Horizonts auf der unteren Drittellinie sein – das ist zwar keine Raketenwissenschaft, aber tatsächliche Urlauber und Hobby-Fotografen denken oft nicht einmal darüber nach, wo denn der Horizont in einem Landschaftsfoto verlaufen sollte. Manche fotografieren ihn nicht einmal gerade, aber das ist wieder ein ganz anderes Thema.

Hier soll es heute um die Kraft der Bildbearbeitung gehen. Ich habe oben einen Warnhinweis direkt in die ersten Zeilen geschrieben, weil ich mit diesem Foto so nicht identifiziert werden möchte. Die unbearbeitete Raw-Datei, die dort zu sehen ist, wirkt auf mich warm, weich, etwas schlapp, bestenfalls so lala. Eigentlich enthält das Foto ganz oben nichts weiter als die Information, dass da ein paar Häuser auf einer Insel stehen.

Hotel, Insel, Sveti Stefan, Adria, Montenegro
Variante 2: Bearbeitet mit automatischer Tonwertkorrektur in Adobe Lightroom                    ©Stefan Anker

Darum ist ja die Bildbearbeitung erfunden worden, die übrigens auch schon die alten Meister im Labor betrieben haben (oder haben betreiben lassen), darum braucht niemand ein schlechtes Gewissen zu haben, der seine Bilder bearbeitet. Im Gegenteil: Ein Bild wird erst Bild durch Bearbeitung. Man kann es allerdings auch übertreiben, wie die Variante 2 beweist.

Wie bei der Kamera ist im Bildbearbeitungsprogramm Lightroom, das wahrscheinlich die meisten Fotografen einsetzen, Vorsicht geboten beim Automatikmodus. Dieses Bild ist entstanden, nachdem ich in Lightroom auf „Automatische Tonwertkorrektur“ geklickt habe. Abgesehen davon, dass dieses Foto nicht weiter geschärft ist und die Objektivfehler nicht korrigiert wurden, ist es auch und vor allem viel zu hell.

Nein, mit den Möglichkeiten der Bildbearbeitung sollte man sich schon befassen, genauso wie mit den Möglichkeiten, die die Kamera bietet. Es entwickelt sich dann auch bald ein eigener Stil, wie beim Fotografieren selbst. Ich zum Beispiel mag es, wenn Fotos selbstbewusst daherkommen und mit kräftigen Farben und Kontrasten glänzen. Gern darf das eigentliche Motiv eine Zehntelsekunde schneller ins Auge springen als bei konkurrierenden Aufnahmen.

Hotel, Sveti Stefan, Montenegro, Insel, Adria
Variante 3: Individuell bearbeitet in Adobe Lightroom                    ©Stefan Anker

Diesen Effekt habe ich in Variante 3 vor allem durch gezielte Aufhellung und Abdunklung erreicht. Mithilfe des Reglers für die Weißtöne sind nicht nur die Mauern der Häuser heller geworden, sondern es fallen auch die weißen Fensterrahmen schneller ins Auge. Sie geben den Häusern Struktur und Gesicht und sind – auch in der Entfernung – für mich bildwichtige Elemente. Die Fenster treten auch deshalb so gut hervor, weil das Blau von Wasser und Himmel schön kräftig geblieben ist.

Die Betonung der Weißtöne hat außerdem den im Original nur leicht erkennbaren Helligkeitsverlauf im Himmel besser zur Geltung gebracht. Ich habe diesen schönen Natur-Effekt noch verstärkt, indem ich den Himmel per Verlaufsfilter von oben nach unten ein wenig abgedunkelt habe. Weil von diesem Abdunkeln auch die Gebäude leicht betroffen waren, habe ich sie mit einem Radialfilter umfasst und wieder leicht aufgehellt.

Das Ergebnis ist ein gut belichtetes, sommerliches und stimmiges Bild, das so auch tatsächlich auf eine Postkarte gedruckt werden könnte – wenn das nicht mit demselben Motiv anderer Fotografen schon vielfach geschehen wäre.

Interessant ist jetzt nur noch die Frage, wie denn die kamera-eigene Bearbeitung ausgesehen hätte, also die Jpg-Datei. Ich muss mir angewöhnen, nicht nur in Raw zu fotografieren, sondern immer auch ein Jpg-File mitzuproduzieren. Dann kann ich hier bei nächster Gelegenheit mal vier Fotos zu einem Thema zeigen.

Das Ergebnis wird aber dasselbe sein, denke ich: Der Fotograf sollte nicht nur Herr über die Bildgestaltung sein, sondern auch über die nachträgliche Bearbeitung. Schließlich ist es sein Bild.

Persönlicher Kontakt: 0171/8323 565
mail@stefananker.com

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