
Öl, Schweiß und Tränen – oder wie sagt man in der Maschinistensprache? Heute bin ich für eine Fotoreportage an Bord eines Ausflugsschiffes gegangen und habe nicht nur den Ausblick und die Fahrgäste fotografiert, sondern auch die Leute, die am Tag der Arbeit arbeiten. Dieses Bild passt mir am besten zur Losung des 1. Mai, und fotografisch hat es eine Besonderheit zu bieten, auf die man gewöhnlich verzichtet.
Normalerweise werden solche Bilder mit geringer Tiefenschärfe gemacht, um den Blick des Betrachters genau aufs Motiv zu legen, und das hier ist unzweifelhaft der Kapitän (geht auch ohne Uniform), der den Ölstand seiner Maschine prüft. Mit lichtstarker Festbrennweite, sagen wir 50 Millimeter, und Blende 2.8 oder noch offener hätte man Vorder- und Hintergrund schön auflösen können und nur Gesicht und Messstab scharf gehabt.
Es gibt zwei Gründe, warum ich das hier nicht gemacht habe. Der erste ist schlicht Eile. Ich hatte dem Kapitän und seinen beiden Mitarbeitern gesagt, dass sie für mich nicht posieren müssen, sie sollten agieren wie sonst auch und sich einfach daran gewöhnen, dass ich da bin. Also haben sie sich bei nichts besonders viel Zeit gelassen, und mit der Kamera musste es entsprechend schnell gehen.
Nicht in jeder Situation war ein Objektivwechsel möglich, und es war auch nicht so einfach, für jedes Foto den Autofokuspunkt so zu wechseln, dass ich exakt die Entfernung zu den Augen messen konnte. Hier zum Beispiel habe ich die Nasenspitze getroffen, aber bei Blende 5.6 und 40 Millimeter Brennweite macht das für die Schärfe des Gesichts überhaupt keinen Unterschied. Selbst ein Anmessen der Schulter oder der Hände hätte hier wohl keine Fehler ergeben.
Wenn Menschen nicht posieren, dann ergibt sich seltener ein direkter Blick zum Fotografen, so dass man aus meiner Sicht auch gar nicht unbedingt diese super-knappe Tiefenschärfe im Bereich der Augen braucht. Wenn ich mein 50er auf der Kamera gehabt hätte, hätte ich es sicher versucht, aber ich hätte ebenso Fotos wie dieses gemacht, nämlich mit Blende 5.6. Weil man auf diesem Bild, wenn der Vordergrund scharf genug ist, auch ein bisschen mit den Augen spazieren gehen kann. Man kann sich die Zylinderköpfe des Diesels ansehen, den Volvo-Schriftzug, die Kraftstoffleitungen und die Gummischläuche, die Schrauben an der Motorabdeckung, die Ölflecken auf dem Tuch, einfach alles.
Und mit all diesen Details sieht das Bild denn auch nicht aus wie ein durchgeistigtes Porträt (was sehr schön sein kann), sondern wie ein ehrlicher Einblick in die Arbeit auf einem Schiff.
Das natürliche Licht unterstützt dagegen wieder den Porträt-Eindruck. Der Kapitän sitzt hier auf dem Boden seiner großen Innenkabine, hinter der Kamera befindet sich ein enger Flur, danach erst kommt der voll verglaste Salon. So dominiert das Licht, das rechts vom Kapitän ins Schiff fällt, denn dort führt eine kleine Treppe direkt nach draußen.
Man kann so ein Bild auch blitzen, um die Lichtunterschiede etwas auszugleichen, und ich blitze ja auch gern. Hier aber wollte ich die dunklen und hellen Bildteile gern hart aufeinander treffen lassen. Wo die Unterschiede zu stark wurden, habe ich sie mit Radialfiltern eingeebnet: Im Original war das Gesicht zu dunkel, die Basecap und die linke Hand waren dagegen zu hell, das ist nun bereinigt.
Ansonsten ist nur noch eine Vignette dazugekommen (plus Klarheit, Dynamik, Kontrast wie immer), und ich war fertig mit der Bildbearbeitung.
Ein repräsentativer Ausschnitt der ganzen Fotoserie ist nun auf meiner Homepage zu sehen: www.stefananker.com/ms_olympia.
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