
Man kann auch ohne Bildbearbeitung manipulativ sein beim Fotografieren. Es reicht schon, eine Brennweite auszuwählen, deren optische Effekte sich von dem unterscheiden, wie das Auge die Umgebung wahrnimmt. Bei diesem Foto eines Berliner Wohnhauses hat eine kleine Handbewegung ausgereicht, um die Fassade zwar grafisch interessant, aber auch irgendwie unbewohnbar aussehen zu lassen.
Die kleinen Balkone im Schubladen-Design sind wirklich nicht allzu groß, aber so schmal sind sie dann auch wieder nicht – vor allem sind die Abstände zwischen den Balkonen in Wirklichkeit größer, als es hier erscheint.
Diesen Effekt des Zusammenrückens hat ein Dreh am Zoomring meines Objektivs erzeugt, und zwar Richtung Tele-Brennweite. Ab etwa 50 Millimeter nimmt die Neigung zu, die verschiedenen Ebenen eines Bildes einander anzunähern, und für dieses Foto haben 105 Millimeter schon gereicht, um den typischen Tele-Effekt sehr deutlich hervortreten zu lassen – es hilft natürlich auch, wenn man zwischen Kamera und Hauswand einen eher spitzen Winkel entstehen lässt.
So kann man schon Effekte erzielen ohne Lightroom & co., hier sind die Enge und die Gleichförmigkeit der Großstadt gleichermaßen thematisiert. Auf der emotionalen Habenseite dieses Bildes steht allerdings die spezielle Ästhetik, die gleichförmige Strukturen mit sich bringen können. Die Wahl des quadratischen Formats verstärkt noch die Konzentration auf die Struktur der Fassade, von der man bei diesem Bildschnitt nicht weiß, wo sie endet, ob sie überhaupt irgendwo ein Ende findet.
Ob man hier noch wohnen möchte, das ist dann gar nicht mehr die Frage – Bildschnitt und Brennweite drängen die Wirklichkeit zurück zugunsten von Rhythmus, Struktur und Form. Dieses Bild ist nur noch Bild, nicht mehr Dokument, und die relativ einheitliche Ausgestaltung (oder besser: Nicht-Ausgestaltung) der Balkone durch die Bewohner des Hauses unterstützt noch diese Wirkung. Der eine rote Fleck (ein zusammengeklappter Sonnenschirm?) im rechten Bildteil ist kaum mehr als die Ausnahme, die die Regel bestätigt.
Aber Bildbearbeitung habe ich trotzdem noch getrieben. Die harten Schatten unter den Balkonen habe ich durch die Erhöhung des Kontrastes noch härter gemacht, damit sie die grafische Wirkung des Bildes besser unterstützen. Aus demselben Grund sind Lichter und helle Mitteltöne stark angehoben, und den Weißabgleich habe ich ein Stück Richtung blau verschoben.
Schönes Bild. Der flache Bildschnitt, wie er zuerst auf Facebook erscheint, hat mir sogar noch besser gefallen. Erweckte den Eindruck, als ob es links immer weiter geht.
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