
Sommersonnenwende, längster Tag des Jahres – was konnte ich da anderes fotografieren als den Sonnenuntergang? In meinem Projekt 366 taucht dieses Motiv heute zum ersten Mal auf, obwohl es doch so beliebt ist. Ich allerdings finde Sonnenuntergänge eher gefährlich.
Das abendliche Versinken der Sonne hinter dem Horizont (jetzt mal unwissenschaftlich gesprochen), wer könnte diesem Naturschauspiel widerstehen? Was mich am Sonnenuntergang jedoch stört, ist die Tatsache, dass den meisten Leuten der Sonnenuntergang an sich genug ist.
Es gibt Fantastilliarden an kreuzlangweiligen Sonnenuntergangsfotos im Netz, es sind wirklich so viele fade Schüsse dabei, dass ich kaum noch hinsehe. Daher gebe ich hiermit den Tipp, der letztlich für alle anderen Bilder auch gilt: inszenieren und bearbeiten.
Es hilft natürlich, wenn man weiß, was der Bildausschnitt außer einer sinkenden Sonne noch zu bieten hat. Das können großartige Berge sein, Wolkenkratzer, Brücken, Schattenrisse von Menschen – in meinem Fall ist es ein Flugzeug. Und das fliegt nicht zufällig durchs Bild, sondern ich wohne halt in der Nähe des Flughafens Berlin-Schönefeld, und da lässt sich abends eine Stelle mit Blick auf den Flughafen finden.
Was ich also sagen will: Planen Sie Ihr Sonnenuntergangsfoto, dann wird es besser. Und wenn Sie es nicht planen können, weil sie z.B. im Urlaub und zum ersten Mal am Ort des Geschehens sind, dann sehen Sie sich nach markanten Landschaftsdetails um, die die Schönheit der untergehenden Sonne weiter hervorheben können. Knipsen Sie nicht einfach die Sonne, sondern machen Sie ein Bild.
Dieser Tipp gilt auch für die Nachbearbeitung. Mein Foto ist im Original sehr viel blasser, aber das stört mich überhaupt nicht. Leicht überbelichtete Fotos haben mehr Potenzial in der Bildbearbeitung als zu dunkle Bilder (die meisten Sonnenuntergänge werden zu dunkel geknipst), daher achte ich darauf, dass mein Sonnenuntergang etwas heller wird, als man es erwarten würde. Weil die Sonne ja still hält, probiere ich im manuellen Modus ein paar Belichtungen aus, bis ich zufrieden bin, und dann fotografiere ich auch weiter manuell.
Normalerweise ist es mein Ziel, auch noch am dunklen Boden Dinge sichtbar zu machen – das heutige Foto betont allerdings im Bildausschnitt sehr stark den Himmel, darum habe ich die Bäume als Schattenriss bearbeitet – genauso wie übrigens das Flugzeug, dessen Lackierung (rot-weiß) und Beschriftung („Wizz“) im Original noch zu sehen waren.
In der Bildbearbeitung kann man dem Himmel praktisch jede beliebige Farbe geben, ich bevorzuge allerdings das Arbeiten ohne Farbänderung. Der Sonnenuntergang über Berlin war also heute Abend wirklich eher gelb, nur sehr viel zarter. Lightroom bietet im Entwickeln-Modul viele Farbregler an, und ich habe an denen für Gelb, Orange und Rot so lange mit Farbton, Luminanz und Sättigung experimentiert, bis ich einen Himmel hatte, der meiner Vorstellung von einem schönen Sonnenuntergang nahe kam.
Wie immer akzeptiere ich jede Kritik an dieser Manipulation des Natürlichen. Und wie immer entgegne ich den Kritikern, dass es mir nicht um die Dokumentation der Wirklichkeit geht, sondern um meine Vorstellung von einem guten Bild. Könnte ich malen, würde ich das mit Staffelei und Pinsel erledigen, so muss ich mich halt mit Kamera und Bildbearbeitungssoftware begnügen.
Vielleicht doch noch ein Dank an die Natur: Die große Wolke, die man hier unter dem Flugzeug sieht, verschluckte die Sonne ca. 15 Minuten früher, als der tatsächliche Sonnenuntergang angekündigt war. So hatte ich eine Viertelstunde eher Feierabend.