
„Traut Glaubt keinem Sänger!“, hat Heinz-Rudolf Kunze mal gesungen, das ist lange her (1987), aber ich vergesse es nicht.* Und möchte hiermit ergänzen: „Traut Glaubt keinem Fotografen!“ – jedenfalls dann, wenn er Euch einen Sonnenuntergang vorsetzt. Ich würde sagen, 95 von 100 dieser Aufnahmen sind stark bis extrem bearbeitet. Warum? Weil es so verlockend ist. Und weil es möglich ist. Und um zu zeigen, welche Möglichkeiten es gibt, stelle ich ausnahmsweise mal wieder die unbearbeitete Raw-Datei dieses Fotos online.

Bitte keinen Schreck kriegen, aber das hier ist wirklich die Wahrheit, komplett ohne digitales Make-up. Eine Raw-Datei direkt aus der Kamera ist das, und sie sieht noch um einiges schlaffer aus als das, was die Kamera nach der Aufnahme auf ihrem eigenen Bildschirm anzeigt. Das Bild auf dem Display ist nämlich eine kleine jpg-Datei, und darin ist dann wenigstens die kamera-interne Bildbearbeitung schon enthalten. In der Regel optimiert jede Kamera ihre jpg-Dateien in Richtung Kontrast, Sättigung, Schärfe, manchmal auch Helligkeit. Das ist praktisch, weil meistens sehr ansehnlich, aber es folgt dem Geschmack der Entwicklungsingenieure, und als Fotograf hat man keinen Einfluss auf den Bildlook. Deshalb fotografiere ich eigentlich zu 100 Prozent im Raw-Format.
Natürlich lassen sich auch jpg-Dateien noch nachträglich bearbeiten, aber nicht im selben Umfang wie die Rohdaten. Deren Nachteil ist, dass man sie zwar umfangreicher und effektiver bearbeiten kann, dass man das aber in jedem Fall auch tun muss, weil sonst die Bilder unakzeptabel sind.
Wie man sieht, habe ich bei der Farbgebung meiner Bearbeitung keine Rücksicht auf Verluste genommen, aber ich wollte den Unterschied auch so deutlich wie möglich machen. Etwas seriösere Sonnenuntergangs-Bearbeitungen von mir kann man hier, hier und hier sehen.
Ich will für das heutige Bild nicht alle Bearbeitungsschritte einzeln aufzählen, im Wesentlichen habe ich mit zwei Verlaufsfiltern gearbeitet: Einer streicht von unten bis zum Horizont und macht die untere Hälfte grundsätzlich mal heller; der andere kommt von oben nach unten und hat die gegenteilige Funktion.
Und dann habe ich mit den verschiedenen Reglern zur Beeinflussung einzelner Farben (Grün, Blau, Orange und Gelb) gearbeitet und auch mit Kontrast und Gesamtsättigung experimentiert.
Die eigentliche Frage aber ist: Warum wollen wir speziell Sonnenuntergänge so sehen, wie sie in Wirklichkeit nicht sind? Ehrlich gesagt, habe ich darauf keine befriedigende Antwort. Meine Theorie ist, dass Bilder und Videos unsere Sehgewohnheiten stärker beeinflussen als das wahre Leben.
*“Glaubt keinem Sänger – ist meine erste und letzte Parole. Glaubt keinem Sänger – schlachtet die Idole!“ Ich weiß gar nicht, ob HRK das heute noch so aufführt. Damals war es wohl als Kritik an der permanenten Nabelschau und Selbstbespiegelung vieler Künstler gemeint, und man konnte sicher auch Politiker, Journalisten und einfach alle, die sich öffentlich äußern, in den Text hineinlesen. Die Kritik ist immer noch berechtigt, nur dass es heute auch Leute gibt, die der kritisierten Elite gern mal mit Gewalt zu Leibe rücken würden (Trump-Wähler, Pegidisten etc.) und die letzte Zeile des Refrains vielleicht eine Spur zu wörtlich nehmen.
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