
Meine Mutter sagt oft: „Bet’n scheef hett Gott leev“. Das ist plattdeutsch, und wörtlich bedeutet es: „Bisschen schief hat Gott lieb.“Frei übersetzt also: Nicht so schlimm, wenn irgend etwas nicht ganz der Norm entspricht. Bei der EU hätte meine Mutter also niemals arbeiten können. Und wenn ich ehrlich bin: als Fotografin möglicherweise auch nicht.
Als Beleg für diese These soll dieses Foto einer krumm gewachsenen Wiesenblume dienen. Der gewundene Stengel ist super, ganz im Sinne meiner Mutter disqualifiziert er die Blume nicht etwa als Motiv, sondern gibt ihr vielleicht sogar eine Extraportion Aufmerksamkeit und Sympathie. Doch der Rest, also alles, was ein gelungenes Bild ausmacht, darf nicht so zufällig daherkommen wie diese kleine Laune der Natur. Es darf mir als Fotograf nicht egal sein, wie ich selbst so ein eher unscheinbares Motiv in Szene setze. Also erzähle ich mal, wie ich dieses Bild aufgebaut und bearbeitet habe.
1.) Lichtsetzung: Das ist ein Makro, das ich in Bauchlage in unserem Garten fotografiert habe. Theoretisch kann ich da mit Blitzen arbeiten, aber die Sonne tut es ja auch. Ich habe bis zum späten Nachmittag gewartet und mir eine Blume gesucht, die ziemlich dicht an der Schattengrenze steht. Das hat den Vorteil, dass das Licht (hier als halbes Gegenlicht von schräg links oben) sehr flach auf die weißen Blütenblätter fällt, was wiederum die Chance erhöht, dass ich auch bei einer leichten Überbelichtung noch Strukturen in den Blättern erhalte. Außerdem ist die Wiese im Hintergrund schon von Natur aus dunkler als die Blume, was das Bild interessanter und die Nachbearbeitung leichter macht.
2.) Bildaufbau: Hier habe ich eine ganz klassische Lösung gewählt, indem ich mein Motiv aus der Bildmitte herausgerückt und die Blüte im Schnittpunkt der rechten vertikalen und der oberen horizontalen Drittellinie platziert habe. Das 16:9-Format erhöht noch einmal die Konzentration auf die Blume, weil schlicht weniger Bildfläche da ist, die ablenken kann.
3.) Schärfe: Wer hier schon länger mitliest, weiß, dass ich Makroaufnahmen nicht unbedingt mit ganz offener Blende fotografiere. Hätte ich das hier getan, dann wären nur einzelne Blütenblätter richtig scharf geworden, und den Hintergrund hätte man als formlose grüne Masse wahrgenommen. Blende 8 genügt hier aber, um die Blume vom Rest freizustellen – und trotzdem sieht man, wo sie steht, nämlich nicht auf einem Zierrasen, sondern auf einer Wiese.
4.) Bildbearbeitung: Schaut man Original und Endfassung nebeneinander an, gibt es gar nicht so dramatische Unterschiede. Damit sich die Blume unmittelbar in den Vordergrund spielt, habe ich vor allem das Grün ein wenig dunkler gemacht (und gesättigt), eine leichte Vignette ums Bild gelegt, den Gesamtkontrast erhöht und die Lichter sowie die hellen Mitteltöne angehoben. Dadurch wurde das Weiß der Blütenblätter so intensiv, dass sie die bei der Aufnahme (s.o.) noch erhaltenen Strukturen wieder verloren. Also bin ich mit dem Korrekturpinsel über die Blüte gegangen und habe hier selektiv Weißtöne und Lichter zurückgenommen. Zuletzt habe ich mithilfe zweier Verlaufsfilter von links und rechts das Grün der Wiese vereinheitlicht – im Original haben manche Bereiche extra viel Sonnenlicht bekommen und lenken so den Blick von der weißen Blüte.
Ich finde, diesen gedanklichen und handwerklichen Aufwand muss treiben, wer seine Fotos anderen zeigen möchte. Selbst wenn die Betrachter das nicht zu würdigen wissen oder vielleicht nicht mal bemerken – ein bisschen Selbstverpflichtung hilft ungemein beim Üben und Besserwerden.